„Vielfalt zulassen!“
Martin Berg blickt im Interview auf 16 Jahre Vorstandsarbeit in der Bundesarbeitsgemeinschaft Werkstätten für behinderte Menschen (BAG WfbM) zurück / Abschied in Berlin

Collagen zum Abschied: Martin Berg und sein Stellvertreter Dr. Jochen Walter (links).
Sein beharrlicher Kommunikationsstil wurde in der Bundesarbeitsgemeinschaft Werkstätten für behinderte Menschen (BAG WfbM) schnell zu seinem Markenzeichen: Martin Berg leistete dort bis zum Ende seiner Amtszeit im November 2024 insgesamt 16 Jahre Vorstandsarbeit, davon zwölf Jahre als Vorsitzender des Führungsgremiums. Insbesondere setzte er sich für die Reform der Werkstattleistungen im Sinne personenzentrierter Förderung und fairer Entlohnung für die Mitarbeiter:innen ein. Im Interview blickt er auf die Meilensteine seiner Arbeit zurück.
Frage: Sie waren zwölf Jahre Vorstandsvorsitzender der BAG WfbM. Was hat Sie zu diesem Einsatz bewogen?
Martin Berg: Zum Zeitpunkt der ersten Wahl war ich schon Mitglied des Vorstands und ein Generationswechsel an der Spitze stand an. Für mich war das eine große Chance, meine Ideen hinsichtlich der Gestaltung von Werkstattleistungen einbringen zu können.

Das passende Geschenk für den Fußballfreund Martin Berg.
Frage: Was konnten Sie in Ihrer Amtszeit erreichen?
Martin Berg: Es ist uns gelungen, alle Landesarbeitsgemeinschaften gleichermaßen zu beteiligen und wertschätzend miteinander zu diskutieren. Wir haben uns nicht nach den Ausprägungen oder Interessen der unterschiedlichen Regionen gerichtet, sondern übergeordnete Ziele verfolgt – beispielsweise die Umsetzung des Bundesteilhabegesetzes und die Veränderungen der Werkstatt im Sinne personenzentrierter Leistungen. Bereits 2014 haben wir mit dem Positionspapier „Perspektive Mensch“ die Kernpunkte für die Weiterentwicklung der Werkstätten beschrieben. Es galt insbesondere die Mitwirkung von Menschen mit Behinderungen an der Gestaltung ihres Arbeitslebens zu stärken und Angebote zur Teilhabe an Arbeit für Menschen mit Schwerst- und mehrfachen Behinderungen zu entwickeln. Zentral dabei ist nach wie vor, die Bedarfserhebung und die Qualitätsstandards so zu steuern, dass jeder einzelne Mensch genau die Leistungen erhält, die er zur Teilhabe am Arbeitsleben braucht – ob innerhalb der Werkstatt oder in einem Betrieb oder Unternehmen des allgemeinen Arbeitsmarkts.
Seinerzeit wie heute sind wir der Überzeugung, dass die Angebote von Werkstätten zur Sozialraumentwicklung beitragen können – durch ihre Initiativen und Leistungen geben Werkstätten Beispiel, wie das Miteinander von unterschiedlichen Menschen in der Arbeitswelt funktionieren kann und die Gesellschaft davon profitiert.
"Teilhabe bedeutet weit mehr, als auf dem
allgemeinen Arbeitsmarkt tätig zu sein"
Frage: Welche Ereignisse und welche Entwicklungen haben Sie in Ihrer Amtszeit als besonders prägend empfunden?
Martin Berg: Wir konnten den Kontakt zur Bundespolitik verstärken und sind mittlerweile ein sehr anerkannter Gesprächspartner der Ministerien und Bundestags-Fraktionen, wenn es um die Teilhabe von Menschen mit Behinderungen am Arbeitsleben und in weiteren Bereichen der Gesellschaft geht. Austausch besteht mit allen Fraktionen außer der AfD. Unserer Haltung entsprechend, die den Schutz unserer humanitären Rechte und unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung beinhaltet, haben wir den Kontakt zur AfD abgelehnt.
Besonders in Erinnerung werden mir auch die Werkstätten-Tage in Chemnitz, Saarbrücken und Lübeck bleiben, die wir als Bundesarbeitsgemeinschaft veranstaltet haben. Die Kongresse mit überregionaler Strahlkraft haben deutlich gemacht, welche Entwicklungen im Sinne von Beteiligung und Mitwirkung von Menschen mit Behinderungen möglich sind und mit welcher Selbstverständlichkeit miteinander gearbeitet, diskutiert und auch gefeiert werden kann. Auch die Ära der Werkstätten-Messen in Nürnberg war prägend. Die Entwicklung hin zu einem jährlichen Fachkongress, der erstmals 2026 in Leipzig stattfinden wird, ist spannend und wird sicherlich gute Impulse liefern.
Frage: Wo sehen Sie die größten Herausforderungen für Werkstätten jetzt und in der nahen Zukunft?
Martin Berg: Die Debatte um vermeintliche Inklusion ist gefährlich, denn nicht für alle Menschen mit Behinderung bietet der allgemeine Arbeitsmarkt Chancen und Möglichkeiten zur Teilhabe. Werkstätten leisten einen wichtigen Beitrag zu einer inklusiven Arbeitswelt, und wir sollten als Gesellschaft daran arbeiten, dass eine faire Entlohnung für Menschen möglich ist, die jeden Tag einer Arbeit nachgehen. Für die Zukunft gilt: Vielfalt zulassen! Teilhabe bedeutet weit mehr, als auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tätig zu sein.
Das Interview führte Dorothee Müller
